Gewohnheiten
von Uwe Wiest
Die
Macht der Gewohnheiten
Die Persönlichkeit des Menschen besteht in seinen speziellen
Ausprägungen, die ihn von anderen unterscheiden und ihn
gleichzeitig einschränken.
Das gilt für das Aussehen, für Gedanken, Gefühle,
Körperhaltungen, Vorlieben.
Zum Beispiel sind manche Menschen träge, andere zappelig,
manche fühlen sich wohl, wenn sie reden können, andere,
wenn sie nicht reden müssen.
Psychologen haben herausgefunden, dass man die Menschen in mehrere
Typen einteilen kann, je nach Modell gibt es fünf bis neuen
Typen:
Das
Big-Five-Modell
Das
Enneagramm.
Wen der Mensch mit sich und seinen Lebensumständen zufrieden
ist, dann kann und sollte sie oder er bleiben, wie sie oder er ist.
Es kann aber durchaus erfreulich sein, wenn man mal ausprobiert,
wie es wäre, wenn man anders denkt, sich anders verhält,
mit seinen Mitmenschen anders umgeht.
Dazu muss man nicht erst in in eine schwere Krise geraten oder
psychisch krank werden. Dann kommt man ohnehin nicht um Veränderungen
herum. Oder man leidet eben weiter.
Logisch wäre ja, wenn ein Mensch das tut, was für ihn
gut ist und das unterlässt, was ihm schadet.
Er tut aber eher das, was er gewohnt ist. Beispiele:
Wer ständig meckert und nörgelt, wird das weiter tun.
Wer ständig zu viel Geld ausgibt, wird das weiter tun
Wer immer zu viel isst, …
Wer einbricht oder andere kriminelle Neigungen hat, wird denen
immer weiter nach gehen.
Wer sich ausnutzen lässt, ist weiter für andere da und lässt sich
auch noch schlecht behandeln.
Wer eine bestimmte politische oder religiöse Meinung und Haltung
hat, wird diese behalten wollen und sich nur mit Meinungen und
Haltungen abgeben, die auf ihrer oder seiner Linie sind.
Wer ungepflegt ist oder unordentlich, wird das fortsetzen.
Das ist doch völlig widersinnig. Warum ist das so?
Es hat etwas damit zu tun,
dass unmittelbare kurzzeitige Erfolge wirkungsvoller sind als
langfristige,
dass gelegentliche Erfolge bei vielen Misserfolgen Menschen
mehr bestärken als ständige Erfolge.
Wie ist es sonst zu verstehen, dass Spielsüchtige fast immer
verlieren und trotzdem weiter machen? Weil sie gelegentlich auch mal
gewinnen!
Warum bleiben Frauen bei Männern, die sie misshandeln? Weil
die gelegentlich auch mal nett sind.
Außerdem, und das ist fast noch wichtiger:
Was man immer tut, was man gewohnt ist, das fühlt sich
richtig an. Was man nicht gewohnt ist, fühlt sich falsch an.
Wenn man bei seinen Gewohnheiten bleibt, kennt man die
Auswirkungen. Man nimmt sie in Kauf, auch wenn sie manchmal oder oft
unangenehm sind. Denkt oder handelt man anders, weiß man nicht,
was dabei herauskommt. Da macht unsicher.
Ein schöner Abend ohne Alkohol?
Eine Gesellschaft, bei der man nicht redet? Oder ausnahmsweise
doch mal redet?
Eine Beziehung ohne Zank und Geschrei? Wie fade.
Eine Stunde ohne Smartphone, Fernsehen, Musik aus der Konserve,
einfach nur so da sitzen? Da muss man doch an die Decke gehen!
Sich mal nicht schminken? Wie sieht das denn aus?
Sucht besteht aus zwei Komponenten: aus körperlicher
Abhängigkeit und Gewohnheit. Das wird oft in einen Topf
geworfen. Computer-Sucht ist zum Beispiel keine körperliche
Sucht, sondern eine starke Gewohnheit. Nicht am Computer zu sitzen,
fühlt sich falsch an.
Der Mensch neigt dazu, sich unter solchen Menschen zu bewegen, die
ähnliche Gewohnheiten haben, und die einen darin bestärken,
dass diese Gewohnheiten richtig sind.
Ein Beispiel ist PEGIDA. Einzelne Personen mit bestimmten
Ansichten und Verhaltensweisen wagen sich nicht viel. Im Verbund sind
sie laut und stark.
In Gruppen oder gar in ganzen Nationen tun Menschen Dinge, die
abscheulich sind, wie der Umgang mit Minderheiten in der Geschichte
zeigt. Warum? Weil sie sich gegenseitig bestärken, dass es
richtig und notwendig ist, abscheuliche Dinge zu tun. Weil alle einen
gewissen Spaß daran haben, Scheußliches zu tun.
Umgekehrt unterstützen die richtigen Gruppen gute
Gewohnheiten, die Menschen gut tun, ihre Entwicklung fördern,
sie gesundheitlich stabilisieren.
Für Außenstehende ist es absurd:
Jemand möchte freundlich behandelt und sogar geliebt werden,
hat aber einen unfreundlichen mürrischen Gesichtsausdruck und
ist nur am Meckern.
Jemand sucht Kontakte, aber hält sich von anderen fern.
Jemand sucht Arbeit, wird zum Vorstellungsgespräch
eingeladen, erscheint da in einem indiskutablen Zustand (Kann man
anschaulich-ironisch darstellen).
Finden
Sie es heraus
Wenn man wirklich grundsätzlich neue Erfahrungen mit sich
selbst machen will, dann sollte man bisweilen das Gegenteil von dem
tun, was man immer tut.
Wer ständig redet, sollte mal schweigen.
Wer ständig in Bewegung ist, sollte den Körper mal ruhig halten.
Wer mürrisch ist, sollte mal freundlich sein.
Wer immer im Mittelpunkt stehen will und muss, sollte sich mal
zurückhalten.
Wer schwer Kontakte findet, sie aber auch gar nicht sucht, sollte
sich mal dazu stellen, wenn andere eine kleine Gruppe bilden und sich
unterhalten. Man muss nicht immer die große Konversation machen,
einfach mal dabei sein und erst mal zuhören. Dann mal hier und da eine
Bemerkung einwerfen ...
Wer sein Kleingeld zusammen hält, sollte mal einen ausgeben.
Wer immer Recht hat, sollte anderen mal recht geben.
Wer immer in Eile ist, sollte mal trödeln.
Wer immer gebeugt umherschleicht, sollte mal aufrecht und zügig
gehen.
Wer sich schlecht behandelt fühlt und das nie äußert, aber sich
lange grämt, sollte sich beim nächsten Mal wehren.
Wer immer an anderen herummeckert, sollte mal loben.
Wer immer bei seinen eigenen Gedanken ist, sollte mal anderen ein
längeres Stück zuhören.
Wer immer gern als Zuhörer gebraucht wird, aber übergangen wird,
wenn er selber etwas erzählen will, sollte das sagen.
Wer sich meistens bedienen lässt, sollte mal etwas für andere tun,
seine Dienste anbieten.
Wer immer für andere da ist, andere bedient, sollte seinen Service
mal einschränken und etwas für sich tun.
Wer nie etwas richtig zu ende macht, nimmt sich mal eine Sache vor
und bringt sie zum Abschluss.
Aufgabe: Überlegen Sie mal, was sie immer denken, wie
sie immer reagieren, wie sie immer fühlen und empfinden. Stellen
Sie sich vor, wie wäre es, wenn Sie es das nächste Mal
anders machen? Wie sähe das aus?
Was wird dabei herauskommen?
Man wird merken, wie schwer es ist, sich anders zu verhalten. Es
geht einem sozusagen gegen den Strich.
Aber man lernt auch Neues, vielleicht sogar Wirkungen, die man
nicht für möglich gehalten hätte.
Zum Beispiel lernt man Leute ganz anders kennen, wenn man mal
zuhört und nachfragt und nicht immer selber redet.
Beispiele:
Man fühlt sich einfach sicherer
im Unterricht und kann etwas beitragen, wenn man seine Lernaufgaben
erledigt hat, gut vorbereitet ist.
Wenn man gerade geht und den Blick
forsch und freudig nach vorn richtet, kommt man gleich in eine andere
Stimmung, als wenn man krumm und mürrisch daherkommt.
Psychotherapie
Psychotherapie macht nur Sinn, wenn man bereit ist, etwas zu
probieren. Sie macht keinen Sinn, wenn man stur der Meinung ist, dass
man alles ganz prima richtig macht, die richtigen Ansichten hat, dass
die anderen sich ändern müssen.
Es gibt keine Psychotherapie-Methode, die bei völliger
Unbeweglichkeit zum Erfolg führt.
Eine kleine Chance ist Gesprächstherapie. Aber es gibt Leute,
die sich auch jahrelang im eigenen Kreis drehen können.
Bei Leuten, denen es schlecht geht, und die objektiv schlechte
Erfahrungen erleben, ist es manchmal nicht leicht zu erkennen, dass
ihre eigene Gewohnheiten das Problem unlösbar machen.
Ein negativer Gedanke ist, die Frage der Veränderung mit der
Frage nach der Schuld zu verknüpfen.
Du wirst von einer anderen Person schlecht behandelt. Das kann nur
dadurch beendet werden, indem diese Person damit aufhört?
Falsch. Die wird weiter machen. Du musst das stoppen. Und wie? Indem
du dich anders verhältst als bisher. Das ist der erste
Gedankenschritt. Im zweiten Schritt geht es an die Arbeit. Wie musst
du dich verhalten, dass das aufhört? Diese Arbeit kannst du
allein in Angriff nehmen, oder dir eine Helferin/einen Helfer suchen.
Das Selbstbild
Im Theater oder Film verkörpern die Schauspieler bestimmte
Rollen. Bei guten Werken können diese Rollen durchaus
differenziert sein.
Im Alltag stelle ich auch so eine Rolle dar, ich sehe mich in
einer ganz bestimmten Weise, und ich könnte für mich sogar
ein Drehbuch schreiben. Das ist eine interessante Vorstellung: sich
selber zu spielen.
Dazu passen gibt es das Fremdbild, wie andere Menschen mich sehen.
Das Fremdbild ist oft sogar präziser als das Selbstbild, es zu
erforschen, birgt manchmal Überraschungen.
Bei den Disney-Figuren gibt es klare Rollenkonzepte: den
Glückspilz Gustav Gans, den reichen Geizkragen Dagobert Duck,
den sich selbst überschätzenden sympathischen Looser Donald
Duck, die altklugen Neffen Tick, Trick und Track, die Panzerknacker,
die immer am Ende die Dummen sind, aber immer weiter an ihre
Erfolgsaussichten glauben, der große böse Wolf,
gefährlich, aber ziemlich erfolglos, muss sich von seinem
moralisch-guten Sohn retten lassen. Daniel Düsentrieb, der
kreativ ist aber trotzdem nie so recht erfolgreich ist.
Aufgabe: Beschreiben Sie Ihr Selbst- und Ihr Fremdbild in
einem Satz, möglichst anschaulich.
Beispiel:
Ich bin ein munterer Mensch, der gern andere unterhält. Ich weiß
sehr viel, meistens mehr als andere, und das zeige ich auch.
Fremdbild bei jemandem, der es gern ruhig hat und leicht schon mal
unsicher wird, aber auch mal was sagen möchte:
Er ist aufdringlich, lässt niemanden zu Worte kommen, weiß alles
besser.
Ich bin sehr genau, und ich sage anderen immer die Wahrheit und
was ich denke und von andren halte, auch wenn das nicht immer angenehm
ist.
Fremdbild bei jemandem, die oder der eine freundliche lockere
ermutigende menschliche Umgebung schätzt:
Er ist mit nichts zufrieden was man tut und benimmt sich unhöflich
und ohne Rücksicht auf die Gefühle anderer.
Ich bin ein gebildeter Mensch und hasse oberflächliche Gespräche.
Ich liebe den intellektuellen Tiefgang.
Mögliches Fremdbild: Muss sich immer wichtig machen. Man fühlt
sich in seiner Gegenwart ungemütlich, wie bei einer Prüfung, wo es auf
jedes Wort ankommt.
Beide Beispiele zeigen, dass Merkmale, die man an sich selber
schätzt, bei anderen negativ gesehen werden können.
Negative Selbstbilder werden selten eine Realitätsprüfung
unterzogen. Sie können sich dann auch nicht verändern.
Ich bin zu dick.
Ich bin nicht schlagfertig und nicht witzig.
Männer/Frauen finden mich unattraktiv.
Ich bin krank, depressiv, mutlos, ich halte mich nur mit großer
Anstrengung auf den Beinen.
Ich habe einfach kein Glück.
Mir sagt niemand mal etwas Nettes.
Ich finde mich hölzern, unentspannt, langweilig.
Ich mag mich nicht leiden, wenn ich in den Spiegel schaue.
Was soll man dazu sagen?
Negative Selbstbilder verstärken ständig das Verhalten.
Greifen wir mal einen Satz heraus:
„Ich bin nicht schlagfertig und nicht witzig.“
Frage: Was machst du denn, wenn du nicht schlagfertig und nicht
witzig bist? Denn: wenn du nicht schlagfertig und witzig bist, dann
musst du ja stattdessen etwas anderes tun.
Redest du zum Beispiel irgendwas daher, was offensichtlich
niemanden interessiert? Was gerade überhaupt nicht Thema ist?
Bist du langatmig, redest und redest du, ohne Anfang und Ende, und
achtest du dabei nicht auf die Signale der Abwehr? Dass die Leute
weggucken, mit den Beinen zappeln, versuchen, ein Gespräch mit
einer anderen Person zu beginnen? Vielleicht ist es gar nicht die
fehlende Schlagfertigkeit, von der du meinst, dass du nicht ankommst.
Vielleicht ist es einfach so, dass du nicht zuhörst, keine
Fragen an andere hast, nicht mitlachst oder traurig bist.
Ja, tausend Gründe. Vielleicht bist du auch mit Leuten
zusammen, die du auch langweilig findest. Oder sonst irgendwie mit
den falschen Leuten.
Manche Leute erleben sich auch deshalb nicht als schlagfertig,
weil sie viel zu viel Angst haben, eine freche, kecke Sache zu sagen.
Sie kritisieren sich selbst, sind zu streng mit sich. Wenn man mit
sich zu streng ist, traut man sich nichts. Dann kann man auch nicht
schlagfertig sein.
Du musst außerdem auf die Reaktionen anderer Menschen
achten. Wenn da Anzeichen von Langerweile sind, einfach mit dem Reden
aufhören. Sonst reitest du dich richtig rein, beim nächsten
Mal weichen die Leute dir aus.
Wenn man von sich etwas glaubt, führt man oft eine falsche
Statistik. Du bemerkst nicht, wenn du mal witzig warst, aber du
merkst dir jede Begebenheit, bei der du den Eindruck hattest, die
anderen finden dich langweilig. Socleh falschen Zählungen
bestätigen dein negatives Selbstbild.